Was sind Prosagedichte? Nun, es gibt die Auffassung, dass Gedichte nur diejenigen dichterischen Texte sind, die auch gereimt formuliert wurden. Mir erschien diese Definition immer zu eng. Seit ich in den frühen 80er Jahren erstmals spontane Gedanken in die Form von Gedichten goss – ein eher zufälliger, spontaner Prozess – , entschied ich mich rasch gegen die gereimte Form. Da blieb ich immer irgendwie hölzern und unecht. Ich bin eben von Natur aus ein Geschichtenerzähler, und so sind auch meine Prosagedichte in der Regel kurz gefasste Erzählungen, manchmal nur Schlaglichter, emotionale Impressionen – nur eben nicht gereimt. Im Laufe von rund 36 Lebensjahren sind nur wenig mehr als 200 Gedichte entstanden, im Vergleich zu mehreren tausend anderen Texten. Die Prosagedichte sind also nur ein kleiner Einblick in mein Schaffen, aber da es hier und heute insbesondere auf Kürze der Präsentation ankommt und ich üblicherweise mehr der Langform zuneige, sind sie so ziemlich die einzigen Texte, die in Frage kamen.

Apropos Langform: Seit 2018 gibt es tatsächlich auch einige Werke von mir im Printformat zu erwerben, in denen ihr mich dann in ausführlicher Länge erleben könnt. Es wurde möglich durch meine Mitgliedschaft im Science Fiction-Club „Terranischer Club Eden“ (TCE), in der Club-Schriftenreihe „Grey Edition“ eine Ausgabe mit erotisch-phantastischen Novellen zu gestalten. Diese Ausgabe „Grey Edition 12: Lustvoller Schrecken“ wird noch im aktuellen Jahr 2019 von einer zweiten Ausgabe gefolgt werden, „Grey Edition 13: Wollust, Wunder und Verhängnis“. Der Band wird voraussichtlich Ende September beim Terranischen Club Eden erscheinen und ist dann über die dortige Webseite zu bestellen: tceorder@terranischer-club-eden.com. Der Preis für die Ausgaben beträgt jeweils 6,50 Euro zuzüglich Versand.

Und damit möchte ich meine Vorrede beenden und zu dem kommen, warum ihr eigentlich gekommen seid – um meine Prosagedichte kennen zu lernen.[1]

Inspiration lauert wirklich überall. Manchmal reichen eine Kanne Tee und ein wacher Blick völlig aus, um so etwas hervorzuzaubern:

Blick in den Feuerofen (1993)

Es mutet an
wie ein Blick in den Feuerofen
ein Blick in die blutigen Tiefen der Welt
dampfend,
kochend,
glühend.

Das Wabern der Hitze
entsteigt dem Kessel aus Glas
und pulsiert hinauf an den Wandungen,
der kostbare Rubinglanz flimmert
und hypnotisiert das Auge.

Und doch ist dies alles
nicht etwa ein Blick,
wie ihn Geologen an sich haben,
sondern dieser Feuerofen
findet sich zuhause.

Es ist das Behältnis voller Tee,
ein Kessel aus Glas, beheizt von unten,
und das Licht, das so blutrot schillert,
kommt von unten und heizt,
auf dass der Tee noch warm ist,
wenn er serviert wird
und gut mundet…

 

Sehnsucht nach Atlantis (1993)

Gestern war ich wieder dort,
an jenem mystischen Ort,
zu stillen meine Sehnsucht,
die von Zeit zu Zeit aufflammt
und durch nichts anderes zu löschen ist
als durch die Kraft der Träume.

Ich weiß nicht genau,
wo es war,
es interessiert mich auch nicht einmal,
ob dieses Reich nur existiert
in den Tiefen meiner Phantasie
oder einst auch in der Realität,
wichtig ist einzig
mein Erlebnis.

In einem jener alten Anzüge,
wie Helmtaucher sie tragen und trugen,
mit ihm stieg ich in die Tiefe hinab,
ein V-förmiges Tal, sanft geneigt,
ringsherum bedeckt von mannshohen Algenwäldern,
die mich in die Urzeit der Welt zurückversetzten,
fluoreszierendes, grünliches Leuchten
mischte sich in gelblichen Schlamm,
aufgewirbelt von Strömung und meinem Schritt,
hoch über mir verdüsterte sich
der endlose Meereshimmel, wurde blau, schwarz.

Vor mir jedoch, in funkelnder Edelsteintiefe
öffnete sich eine Ebene meinen Blicken,
dort stand als vorderste Bastion
ein Tempel.
Dachlos, freilich, nach all den Jahren,
doch deutlich zu erkennen
mit seinen kannelierten Säulen,
den fein gemeißelten Friesen,
nun von Algen bedeckt und unkenntlich,
Zeuge eines stolzen Volkes,
das einst mitsamt seinem gesamten Reich
donnernd und tosend im Meer versank
und zugrunde ging.

Und dahinter
erstreckten sich in langen Kolonnaden
marmorne Grabmäler gleich denen an der Via Appia,
Paläste, gegen die der des Minos winzig war,
als er noch Bestand hatte –
und dort sind die Tempelhochburgen,
der Akropolis ähnlich,
aber ungleich älter als sie.
Hier und da liegen hingestreckt
bleiche, weiße Gestalten mit emporgereckten Armen,
zerschmetterte Säulen,
abgeworfene Kapitelle,
Gold und Juwelen, von Flüchtenden getragen,
letztere sind längst zu Staub geworden,
ihre zeitlosen Schätze hingegen überdauerten sie.

Korallen bedecken Türstürze,
Schwämme überkrusten die alten Gehsteige,
Tang bedeckt die Hängenden Gärten von Atlantis,
soweit die Beben sie verschonten,
Plankton wirbelt in fremder Lebhaftigkeit
durch die Hallen der Patrizierhäuser
und durch die Gassen und über die Plätze
der toten Nation,
die zum Nährboden wurde
für eine neue Generation von Leben
aus dem Schoß des Lebens selbst – dem Meer.

Wie stets taumele ich benommen,
wandle wie im Fieber durch diese Welt,
weiß nicht, ob ich träume oder wache,
doch es ist einerlei,
wichtig ist nur, dass ich SEHE.
Und wie ich SEHE!

Ich habe keinen Blick für die Geschmeide,
für Gold und kostbare Statuen,
denn Genuss ist mein Sinnen, nicht Habgier und Raub,
niemals werden Fremde ihren Fuß hierher setzen,
in dies Refugium meiner Sehnsucht,
keiner wird die toten Stätten entehren,
dem neuen ozeanischen Leben
den Boden entreißen, auf dem es gedeiht.

Denn dieses Atlantis
ist das Atlantis meiner Sehnsucht,
es ist eine Nation,
die so, wie ich sie sehe,
nie existiert hat.

Dies ist die lange Reise nach innen,
der Weg jenseits der Tür ohne Schloss und Knauf,
dies ist MEINE Phantasie,
und meine Sehnsucht der einzige Zugang…

Zum Autor:

Mein Name ist Uwe Lammers, ich bin von Haus aus studierter Historiker (Abschluss 2002), aber schon von Kindesbeinen an Literat. Meine ältesten erhaltenen Texte datieren in das Jahr 1979. Erstmals publizistisch aktiv wurde ich 1982, und seither sind in jedem Jahr zunehmend mehr von meinen Texten erschienen. Mein Schwerpunkt liegt dabei auf der phantastischen Prosa, seit 1984 auch im Romanformat. Mein mit weitem Abstand am stärksten ambitioniertes Projekt ist der „Oki Stanwer Mythos“ (OSM), an dem ich seit knapp 40 Jahren schreibe. Seit 2013 erscheinen meine Werke auch im E-Book-Format – ich habe euch dazu einige Flyer mitgebracht, die ihr gern mitnehmen könnt. In einigen meiner erschienenen E-Book-Storysammlungen findet ihr auch ein paar meiner Prosagedichte.

Ebenfalls seit 2013 bin ich auf meiner eigenen Webseite www.oki-stanwer.de als Blogger aktiv und berichte hier wöchentlich sowohl über meine Schreibaktivitäten, als ich auch Buchrezensionen vorstelle. Nach und nach wird vieles davon auch in der Mediathek der KreativRegion erscheinen.

In der KreativRegion e.V. bin ich seit 2018 verantwortlich für den Sektor Buchmarkt und freue mich deshalb ganz besonders, heute hier sein und euch einen kleinen Teil meiner Werke vorstellen zu können.

[1]              Nur einen kleinen Teil dieser Prosagedichte habe ich tatsächlich vorgetragen, weil das Lesungsfenster doch aufgrund meiner beiden Kolleginnen und der folgenden Buchvorstellung von Cristina Antonelli schon weitgehend geschlossen war. Ich habe auf diese Veröffentlichung in der Mediathek der KreativRegion verwiesen.