»Ein wunderbares Beispiel für ein virtuelles Lockdownangebot im Pflegeheim liefert der Schriftsteller Hardy Crueger, der für die Bewohner im Pflegeheim ST. THOMAEHOF eine Livestream-Lesung abhielt, die von einer Alltagsbegleiterin organisiert wurde!

Man fragt sich natürlich als Professioneller (Alltagsbegleiter, A.d.A.): hat das funktioniert? Ist es nachahmenswert? Was könnte anders/besser gemacht werden? Auf jeden Fall zunächst mal HUT AB vor der grandiosen Idee, sowas überhaupt auszuprobieren!« 

Das meinte zumindest der Betreiber der facebook-Seite: »Betreuungsalltag. Ein kritischer Blick hinter die Kulissen« zu der Lesereihe, für die ich im Januar 2021 seitens der Alltagsbegleitung in einem Braunschweiger Pflegeheim gebucht wurde.

Natürlich war ich skeptisch, denn meine bisherigen Erfahrungen mit der Video-telefonie oder Video-Konferenz-Schaltungen via Internet waren nicht die besten. Ruckelnde Bilder mögen noch erträglich sein, aber abgehakte, unvollständige Sätze, gerade wenn die Dramatik in einer Story Kulminiert, sind natürlich furchtbar. Aber egal – die Lesungen sollten honoriert werden und das ist in Zeiten physischer Auftrittsverbote ein gewichtiges Argument.

Initiatorin war Frau Christina Jasper, die Leiterin des Pflegeheims St, Thomaehof, die auch das Honorar bewilligt hatte. Nach ersten Gesprächen planten die Organisatorin und ich folgende Lesereihe: An jedem der vier Montag im Januar sollte ich mich ab 15:30 bei Skype einwählen und den Bewohner*innen ca. 40 Minuten vorlesen. So bekamen die Gäste insgesamt neun meiner seichteren »Okergeschichten« zu hören, Kurzkrimis, die an oder sogar auf dem hiesigen Flüsschen Oker spielen. Was sich als eine gute Wahl herausstellte, weil das Vorlesen einer Story nur zwischen zehn und dreißig Minuten dauert und der Spielort den Zuhörer*innen bekannt ist. 

Das Heim verfügte bereits über die entsprechende Technik – Laptop, W-Lan, Beamer und Leinwand – ich las also bequem von Zuhause aus und mein Konterfei wurde im Gesellschaftsraum auf eine Leinwand projiziert, wo sich die Mitglieder einer Wohngruppe mit Abstand versammeln durften. Skype ruckelte ab und zu, aber insgesamt kamen die Lesungen gut an. Ich fragte mehrmals, ob der Ton in Ordnung sei und dann ging es auch schon los. Nach jeder Story wurde applaudiert, es wurden Fragen zu den Krimis gestellt aber auch zu mir und meiner Arbeit. Insgesamt war es in dieser kulturarmen Zeit eine schöne Abwechslung für beide Seiten.  

Eine Mitteilung über das innovative Projekt an die örtliche Presse sowie dem NDR Studio Braunschweig verpuffte leider im Nirvana der Redaktionen, obwohl auch dieses kleine Kulturangebot in einem der gerade schwer leidenden Pflegeheime es wert gewesen wäre diese Idee zu verbreiten. Das Interesse ist da (siehe oben).

Hardy Crueger, Feb. 2021

 

Artikel für Kulturnetz 1/2021